TX-Transform

(fig. Martin Reinhart, Omnicam)

2019, im Rahmen des Diagonale Festivals, präsentierte das Designforum Steiermark eine Ausstellung namens „Wenn das Kino die Leinwand verlässt“ (22.02 bis 21.03.2019), welche unter anderem die Arbeit von Martin Reinhart und Virgil Widrich vorgestellt hat.1 Dazu wurden die zwei Medien-Künstler  am 22. März während einer von dem Designforum organisierten VR- Konferenzreihe eingeladen, ihre Installationen und Ansätze zur räumlichen Darstellung der Zeit zu erklären.

In den 1990er Jahren, lieferte Martin Reinhart eine Reihe von fotografischen Experimenten, welche die Wahrnehmung der Zeit räumlich darstellen sollte. Reinhart wurde – so erklärt er – sehr stark von den Schriften des britischen Philosophs und Mathematikers Bertrand Russell (The ABC of Relativity, 1925) sowie des russischen Physikers George Anthony Gamow (Mr. Tompkins Reisen durch Kosmos und Mikrokosmos, 1940) beeinflusst, welche auf Einsteins Relativitätstheorie zurück greifen.

(fig. George Gamow, Mr Tompkins Reisen durch Kosmos und Mikrokosmos, 1940)

In seiner Arbeit bietet er dem Zuschauer an, die Raum- und Zeiterfahrung, welche üblicherweise von der menschlichen Perspektive wahrgenommen wird, rein apparativ zu wiedergeben2: Reinhart zerlegt Streifen aus Fotomaterialien und legt sie chronologisch nebeneinander zusammen. Dadurch entsteht eine fremde jedoch nicht falsche Darstellung, welche die Geschwindigkeit der Bewegungen und die Entfernung des Objekts zur Kamera betont. Diese Verfahren wurde er unter dem Namen von TX-Transform vorgestellt und in einem Erklärungsfilm genau erklärt:
„Tx-transform“ making-of, by Martin Reinhart, Virgil Widrich, 1999, url: https://vimeo.com/313018571

Die Zeit (t)- und Raumachse (x) werden miteinander vertauscht. „Normalerweise bildet jeder einzelne Filmkader den ganzen Raum, aber nur einen kurzen Moment der Zeit (1/24 Sekunde) ab. Bei tx-transformierten Materialien ist es jedoch genau umgekehrt: Jeder Filmkader zeigt die gesamte Zeit, aber nur einen winzigen Teil des Raumes – bei Schnitten entlang der horizontalen Raumachse wird so der linke Teil des Bildes zum »Vorher«, der rechte Teil zum »Nachher«.“3

(fig. Martin Reinhart, Raumschnitt Abfolge)


(fig. Martin Reinhart, tx-transform)

Später, mit Hilfe von Virgil Widrich, wurde Reinharts Technik auf filmische Produktionen angewandt. Reinhart erklärt, dass das transformierte Filmmaterial eine andere Wahrnehmung der Realität darstellt. „Es geht hier um eine strukturelle Umschichtung der filmischen Information“4, sagt er. Die aufgenommenen Informationen werden dadurch nicht korrumpiert, sondern anders genutzt.

2018 im Babylon Kino in Berlin filmten Reinhart und Widrich „mit der OmniCam-360 an die 135 DarstellerInnen und berechneten aus diesem Material die Installation »tx-reverse 360°«.“5 Damit haben die Künstler eine Szene, welche ursprünglich aus einem menschlichen Blickwinkel wahrnehmbar war, auf die ganze 360°-Fläche chronologisch aufgezogen und dadurch die aufgenommenen Informationen  eine neue Dimension gegeben.


(fig. Martin Reinhart und Virgil Widrich, Tx-reverse 360°)


(fig. Martin Reinhart und Virgil Widrich, Tx-reverse 360°)

Wenn die Arbeit von Reinhart und Widrich stark in künstlerischen Bereich verankert ist und ihre Anwendung in irgendeine Form von Geschichtserzählung schwer vorstellbar ist, stellen ihre Werke die interessante Frage der räumliche Darstellung der Zeit auf Filmmaterialien und vor allem auf das sehr räumlich geprägte 360°-Format. Ebenso stellen diese Experimente die Frage, inwiefern kann die Wahrnehmung des Zuschauers sich an das Medium anpassen. Könnte man sich auf lange Sicht hingesehen, daran gewöhnen, die Realität so abstrakt zu empfangen?

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Martin REINHART (Quelle: digitalekunst.ac.at)
*27.11.1967 in Wien
Studium an der Universität für angewandte Kunst, lebt als Filmemacher und Filmtechniker in Wien. Seit 1999 zahlreiche Projekte im Bereich der Filmtechnik und Multimedia. Arbeit als Filmtechniker in München und Hollywood, eigene filmtechnische Werkstatt seit 1998, 2009 Gründung der
Indiecam GmbH. 2001-2004 Kurator für Fotografie und Film im Technischen Museum Wien. Seit 2004 Aufbau und Leitung der ‚WestLicht Photographica Auction‘. In den letzten zehn Jahren Umsetzung zahlreicher Experimentalfilme. Diverse öffentliche Förderungen und Ankäufe so wie Teilnahme an div. Festivals im In- und Ausland (Ars Electronica, Diagonale, Viper, DEAF Rotterdam, ZKM, etc). Zurzeit Arbeit als Autor und Regisseur gemeinsam mit Thomas Tode am ARTE-Dokumentalfilmprojekt ‚Revolution im Ton‘

Virgil WIDRICH (Quelle: widrichfilm.com)
*1967 in Salzburg
Drehbuchautor, Filmregisseur, Multimediakünstler und Professor für „Art & Science“ an der Universität für angewandte Kunst Wien. Sein Kurzfilm „Copy Shop“ wurde für einen Oscar nominiert. Insgesamt wurden seine Arbeiten bisher mit über 130 internationalen Preisen ausgezeichnet. Virgil Widrich ist in unterschiedlichen Rollen als Projektleiter, Konzeptionist, Ausstellungsgestalter oder künstlerischer Leiter an der Entstehung von Drehbüchern, Kurz- und Spielfilmen, Installationen, Ausstellungen und ganzen Museen, sowie an internationalen Forschungsprojekten beteiligt.

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1.Programm – Ausstellung „Wenn das Kino die Leinwand verlässt“, designforum Steiermark, url: https://www.designforum.at/veranstaltung/wenn-das-kino-die-leinwand-verlaesst
2. Peter Weibl (Moderator), Einführung zur Vortrag „Tx-reverse 360°“, ZKM, url: https://zkm.de/en/media/video/opening-tx-reverse-360deg
3.“tx-reverse 360°“, Ausstellungsarchiv der ZKM, url: https://zkm.de/de/ausstellung/2018/10/tx-reverse-360deg
4.Martin Reinhart, Vortrag „Tx-reverse 360°“, ZKM, url: https://zkm.de/en/media/video/opening-tx-reverse-360deg
5. “tx-reverse 360°“, Ausstellungsarchiv der ZKM

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