Narratology for Interactive Storytelling

(fig. Geschichtserzählung im Literatur, Kino und Spiele, In: “Show, Don’t tell: why interactive Storytelling is a key factor in Escape Rooms”, 31.05.2017, url: brainyactzsocal.com)

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Cavazza, M., Pizzi, D. (2006), « Narratology for Interactive Storytelling : A Critical Introduction », In : Göbel, S., Malkewitz, R., Iurgel, I. Eds., International Conference on Technologies for Interactive Digital Storytelling and Entertainment, Springer Verlag, Darmstadt,  SS.72-83

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2006 organisierte das ZGDV (Zentrum für Foren in der grafischen Datenverarbeitung e.V.) in Darmstadt sein dritte internationale Konferenz mit dem Thema „Digital Storytelling“, welche beabsichtigte, eine Brücke zwischen aktuellen akademischen Tendenzen und Entwicklungen in Richtung  Experience-zentrierte Interaktionsdesign zu bauen1.  Diese Konferenz wurde in einem Buch berichtet, welche dasselbe Jahr in dem Springer Verlag veröffentlicht war. Als Einleitung des theoretischen Teils dieses Buch, wurden Marc Cavazza, Professor an der School of Computing des University of Leeds und Direktor des Digital Futures Institute des Teesside University2, und David Pizzi, Forscher an der Teesside University3, eingeladen, eine Einführung über die zeitgenössischen Erzähltheorie unter die Name „Narratology for Interactive Storytelling: A Critical Introduction „ zu schreiben. Die Autoren erklären, dass die Forschung über Interaktive Storytelling(IS) sich allgemein von der Klassiker der Erzähltheorien inspirierte, um grundlegende Konzepte zu identifizieren oder Formalismus für ihre Implementierung  davon abzuleiten.4 Cavazza und Pizza bieten hier an, die am häufigsten zitierten Theorien aus der Perspektive des Interaktive Storytelling Forschung zu rezensieren.5

Aristoteles
Sie erwähnen zuerst Aristoteles, der, schreiben sie, die erste Analyse des „traditionellen Dramas“ lieferte und vor allem auf seiner Entwicklung durch Höhepunkt und Lösung insisistierte.6 Ebenso hat Aristoteles den wichtigen Konzept der „bewusste Wahl“ (προαίρεσις ) eingeführt, welche bis heute eine zentrale Aspekt der Geschichtserzählung ist.7 Dieser Modell wurde, so erklären Pizzo und Cavazza, bei der IS-Forscher vor allem für seinen Misserfolg kritisiert, den Agency zu betonnen. Erweiterungen dieses aristotelischen Modells wurden infolgedessen vorgeschlagen, um die Benutzerinteraktion präziser zu inkorporieren (Tomaszewski, Binsted).8

Wladimir Propp
Eine der von der IS-Forscher am meisten zitierte Arbeit ist die Morphologie des Märchens (1928) von Wladimir Propp, kündigen Cavazza und Pizzo. Propp, schreiben sie, war der Erste, der stabilen Strukturen innerhalb russischen Märchen aufdeckte, und  dadurch erzählerischen Grundformen sowie Sequenzen von narrativen Funktionen definiert hat.9 Cavazza und Pizzo fassen Propps Ansatz in drei Hauptpunkten zusammen: (a)die narrative Funktionen sind stabilen und invarianten Grundformen, welche unabhängig von den Figuren, die sie durchführen, und von der Modalitäten ihrer Durchführung; (b)es gibt eine limitierte Zahl (31) an narrative Funktionen; (c)die Funktionen treten immer in der selbe Reihenfolge auf.10

(fig. Schema einer Propps Sequenz, In: Cavazza, M., Pizzi, D. (2006), « Narratology for Interactive Storytelling : A Critical Introduction »,S.74)

Diese Ansicht verhindert jeder Art von Interaktionen wegen die festgesetzte Natur ihrer Funktionssequenzen und wurde von  IS-Forscher mit einem Konzept von Verzweigungen augmentiert. 11

Algirdas Julien Greimas
Cavazza und Pizzi beschreiben die Arbeit Greimas als eine semantische Analyse der Erzählung, welche die Schwerpunkt auf Paradigmen, Oppositionen und semantische Rollen sitzt.12 Er nutzt der Konzept von Aktant (actant), welche er in drei Kategorien gliedert: (a)Sender –Empfänger; (b)Adjuvans-Gegner; (c)Subjekt-Objekt; und definiert folgenderweise die Charakter nicht wie sie sind, sonder für was sie machen.13 Ebenso identifiziert Greimas mehrere“ semantische Felder“, deren Relevanz für die Geschichtserzählung keine Begründungen benötigen, wie zum Beispiel: Liebe, politische oder religiöse Fanatismus, Gier, Ambition, Neid, Patriotismus, Frustration, usw.14 Cavazza und Pizzi berichten allerdings, dass – trotz die in IS-Forschung häufige Zitate – diese Analyse nur selten für interaktive Storytelling angewendet wurde, weil sie zu sehr dem rigiden Rahmen von Propp  ähnelt.15

Roland Barthes
Barthes Analyse, so erklären Cavazza und Pizzi, ist sehr von der IS-Forscher geschätzt, weil sie eine Struktur anbietet, welche Raum für Entscheidungspunkten lässt.16 Barthes identifiziert Szenen als Aktionsverzweigungen, welche die narrativen Aktionen in Form von eine baumartige Struktur organisiert, die sich auf die Entscheidungen beziehen, eine Aktion zu unternehmen, und auf Ihre möglichen Auswirkungen.Die wichtige Element dabei ist, dass auch wenn diese Ereignisse semantisch verbunden sind, sie bilden keine durchgehende Sequenz. 17

(fig. Baumartige Struktur von Roland Barthes, in: Cavazza, M., Pizzi, D. (2006), « Narratology for Interactive Storytelling : A Critical Introduction »,S.76)

Cavazza und Pizzi erklären, dass Barthes Erzähltheorie auf fünf „Codes“ basiert ist: (a) der ACT(für Aktion)-Code, welcher sich auf die oben erwähnte Aktionen bezieht; (b) der REF(für Referenz)-Code, welche ein narratives Ereignis Hintergrundswissen unterstellt, das für seine Interpretation erforderlich ist; (c)der SYM (für Symbolik)-Code, welche wichtige kulturelle Objekten erfasst, die sehr symbolisch geladen ist, wie zum Beispiel Geld, menschliche Körper, usw.; (d) der SEM (für Semantisch)-Code, welche in schriftliche Form in der Erzählung erscheint; (e)der HER (für Hermeneutik)-Code, welche die Elemente signalisiert, die eine Interpretation auf die Seite der Zuschauer auslösen sollte. Das heisst: wichtige narrative Ereignissen, welche Hinweise für zukünftigen Ereignissen beinhalten oder Rätselselemente, deren Lösung wichtig für eine Teil der Erzählung ist.18 Die HER- und ACT-Codes, schreiben Cavazza und Pizzi, sind von besondere Bedeutung für die interaktive Storytelling insofern dass sie bestimmend für die Spannung in der Geschichtserzählung sind: der Erste, weil er zwingt, die Interpretation die Lücken zu fühlen, und die Zweite, weil die Perplexität, die mit der verschiedenen Ausgänge der Aktion verbunden ist, Erwartungen, Spannung und Überraschung erzeugt.19

Claude Bremond
Der letzte von Cavazza und Pizzi erwähnte Theoretiker ist Claude Bremond, welcher eine Erzähltheorie entwickelt hat, die auf die Beschreibung von Charakters Rolen zentriert ist und, die auf einem Gegensatz zwischen Agent und Patient basiert ist.20 Ein Patient, erklären Cavazza und Pizzi, ist ein Charakter, welcher von der narrativen Aktionen beeinflusst wird, während ein Agent verantwortlich für die Veränderungen in dem narrativen Universum ist. Der Status von Agent und Patient ist allerdings vorübergehend.21 Patienten können zwei Arten von narrativen Vorgänge erleben: (a) Ein informierender Vorgang, welcher ihre Bewusstsein über ihrer Situation – als Folge von Wissenserwerbungen, Frustration oder Befriedigung, Hoffnung oder Angst – beeinflussen; (b) Ein Vorgang, welcher die Situation des Patients tatsächlich verändert, verbessert, verschlimmert oder präserviert.22 Ebenso unterscheidet Bremond den freiwilligen Agent, welcher absichtlich einen zielorientierten Prozess initiiert, von dem unfreiwilligen Agent, dessen erzählerischen Auswirkung von den unabsichtlichen Nebeneffekten seiner absichtlichen Aktionen ableitet.23 Der zentraler Aspekt von Bemonds Modell, schreiben Cavazza und Pizzi, ist dass es die Psychologie der Charakteren wieder einführt – mit Figuren, die Gläube (akkurate oder nicht), Motivationen und Ziele haben.24 Cavazza und Pizzi berichten eine zunehmende Interesse für die Anwendung Bremonds Modell in interaktive Storytelling in die letzte Jahren vor allem durch seine Umsetzung in sogenannte Entscheidungsbäume und „drama maps“.25

Marc Cavazza und David Pizzi liefern einen interessanten Überblick über die klassischen Erzähltheorien und ihre Echo in der interaktiven Storytellingsforschung. Unter interaktive Storytelling verstehen die zwei Autoren allerdings Geschichtserzählungen, in welche der Benutzer oder Zuschauer tatsächliche Entscheidungen treffen kann und mit der virtuellen Umgebung interagieren kann. Nichtsdestotrotz gehen die oben erwähnten Theorien auch passiveren Charakterstatus an, die man im Rahmen von 360-Grad-Videos für die Definition der Zuschauerstatus beispielsweise anwenden kann. Die Vorteil dieses Artikels ist, dass er Referenzen in beiden klassische und IS-zentrierte Theorien setzt, was uns später erlauben wird, die 360-Grad Storytelling in Beziehung  zu definieren.


  1. “Über dieses Buch“, Springer online, Url: springer.com
  2. „Marc Cavazza“, In: videolectures.net
  3. Teesside University, url: tees.ac.uk
  4. Cavazza, M., Pizzi, D. (2006), « Narratology for Interactive Storytelling : A Critical Introduction », In : Göbel, S., Malkewitz, R., Iurgel, I. Eds., International Conference on Technologies for Interactive Digital Storytelling and Entertainment, Springer Verlag, Darmstadt, 72-83, S.72
  5. Ebenso, S.72
  6. Ebenso, S.73
  7. Aristoteles, Nikomachische Ethik, zitiert in: Cavazza, M., Pizzi, D. (2006), « Narratology for Interactive Storytelling : A Critical Introduction »,S.73
  8. Tomaszewski, Z., Binsted, K. (2006), A Reconstructed Neo-Aristotelian Theory of Interactive Drama. Workshop on Computational Aesthetics: Artificial Intelligence Approaches to Beauty and Happiness, National Conference on Artificial Intelligence (AAAI), Boston, Massachusetts, zitiert in: Cavazza, M., Pizzi, D. (2006), « Narratology for Interactive Storytelling : A Critical Introduction »,S.73
  9. Cavazza, M., Pizzi, D. (2006), « Narratology for Interactive Storytelling : A Critical Introduction »,S.73
  10. Ebenso, SS.73-74
  11. Hartmann, K., Hartmann, S.,Feustel, M.(2005), “Motif Definition and Classification to Structure Non-linear Plots and to Control the Narrative Flow in Interactive Dramas”, In: Gérard Subsol (Ed.), Virtual Storytelling, Using Virtual Reality Technologies for Storytelling, Third International Conference, ICVS 2005, Lecture Notes in Computer Science 3805 Springer, SS. 158-167, zitiert in: Cavazza, M., Pizzi, D. (2006), « Narratology for Interactive Storytelling : A Critical Introduction »,S.74
  12. Cavazza, M., Pizzi, D. (2006), « Narratology for Interactive Storytelling : A Critical Introduction »,S.74
  13. Ebenso.
  14. Ebenso, S.75
  15. Ebenso.
  16. Ebenso.
  17. Ebenso,S.76
  18. Ebenso,S.76-77
  19. Ebenso, S.77
  20. Ebenso
  21. Ebenso,S.78
  22. Ebenso.
  23. Ebenso.
  24. Ebenso, S.79
  25. Donikian, S., Portugal, J.-N.(2004),” Writing Interactive Fiction Scenarii with DraMachina.”, In: Stefan Göbel, Ulrike Spierling, Anja Hoffmann, Ido Iurgel, Oliver Schneider, J. Dechau, Axel Feix (Eds.), Technologies for Interactive Digital Storytelling and Entertainment, Second International Conference, TIDSE 2004, Lecture Notes in Computer Science 3105, Springer, SS 101-112, und Schäfer, L., Stauber, A., Bokan, B.(2004),” StoryNet: An Educational Game for Social Skills.”, In: Stefan Göbel, Ulrike Spierling, Anja Hoffmann, Ido Iurgel, Oliver Schneider, J. Dechau, Axel Feix (Eds.): Technologies for Interactive Digital Storytelling and Entertainment, Second International Conference, TIDSE 2004, Lecture Notes in Computer Science 3105, Springer, SS 148-157, zitiert in: Cavazza, M., Pizzi, D. (2006), « Narratology for Interactive Storytelling : A Critical Introduction »,S.80
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