„Raumdenken und Gehirn“

(fig. Wissensstruktur des Gehirns, Buether, A., In: Buether, A., „Raumdenken und Gehirn.Grundlagen der visuellen Raumwahrnehmung und Kommunikation“, S. 37)

Bericht
Buether, A., „Raumdenken und Gehirn.Grundlagen der visuellen Raumwahrnehmung und Kommunikation“, In: Overschmidt, G. und Schröder, U.B. (2013), Fullspace-Projektion. Mit dem 360° lab zum Holodeck, Springer Vieweg Verlag, Berlin, Heidelberg, Ss.23-39

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Der Beitrag Prof. Dr. Axel Buethers führt die Artikelserie ein, welche unter dem Titel Fullspace-Projektion. Mit dem 360° lab zum Holodeck 2013 herausgebracht wurde. Das Buch, welches als erstes Fachbuch über das 360°-Thema gelten soll, erstrebt, „die Entwicklungen als auch Diskussionen und Perspektiven zum Thema aufzuzeigen“1.

Anfänglich betont der Mediendesigner und Professor der Bergischen Universität Wuppertal, Axel Buether, das Potenzial einer 360°-Raumsdarstellung als Informationsträger. Er erklärt, dass wir dadurch ein anschauliches Sprachsystem erhalten, „das der Verarbeitung von räumlich-visuellen Daten im Gehirn weitaus näher kommt, als die verfügbaren Standardbildformate. Hierdurch können alle sinnlich erfahrenen und kognitiv erkannten Umweltbeziehungen weitaus besser als bisher auf anschauliche und auditive Weise zur Sprache gebracht werden.“2  Ebenso drückt er die Idee aus, dass die Einführung des 360°-Format als eine innovative anschauliche Darstellungstechnik zur Weiterentwicklung unserer visuellen Intelligenz führen könnte, welche „sich aufgrund der Plastizität der Gehirnstrukturen lebenslang fördern lässt“3. „Sphärische 360°-Projektionen“, erklärt er, „erfordern neue formale, inhaltliche und dramaturgische Strategien im Umgang mit Bildmedien, die wiederum tiefgreifende Veränderungen in den auditiven Bereichen Sprache, Geräusch und Musik nach sich ziehen.“4 Ebenso, geht er davon aus, dass Technische Innovationen Veränderungen unserer Lebenswirklichkeit bergen. „Durch sie können die Leistungsgrenzen unserer Sinnessysteme erweitert und aus komplexen Umweltdaten Informationen gewonnen werden“5 schließt er ab.

Der Artikel kommt auf den Begriff von „Kulturraum“ zurück, welche wir in diesem Blog schon erwähnt haben. „Der Kulturraum ist so gestaltet, dass uns alle Orte und Dinge auf anschauliche Weise über ihre Lage (Topos) und ihren Gebrauchszweck (Typos) informieren.“6 In diesem Sinn, sollte der Raum selbst als einer der Hauptträger der Geschichte sein und dazu beitragen, die Hinweise zu ersetzen, welche durch Schnitt und Bildkomposition in traditionellen Formaten erzeugt werden. Der Blick in 360°-Videos „zeigt nicht nur ein Bild, sondern ein räumliches Zeichensystem, über dessen semantische und syntaktische Strukturen ein gezielter Dialog mit der Zielgruppe aufgenommen und gestaltet werden kann.“7

Weiter erklärt Buether das physiologische Funktionieren des Sehorgans und seine inhaltlichen und dramaturgischen Konsequenzen auf die Botschaft, welche durch den dargestellten Raum vermittelt wird:
„360° Räume wirken immer atmosphärisch da sich unser Erregungs- und Gefühlszustand nicht nur auf konkrete Inhalte, sondern auch auf Phänomene wie Farbe, Licht, Klang, Form und Bewegung einstimmt. Im visuellen Cortex werden die von den Augen kommenden Signale weiterverarbeitet und über zwei Hauptverarbeitungsströme parallel zu den Gedächtnisarealen geleitet. Der zum deklarativen Gedächtnis verlaufende »Wo-Strom » dient der Bewegungs-, Handlungs-, und Positionswahrnehmung, während der zum semantischen Gedächtnis verlaufende « Was-Strom » 8. die Identifikation von Dingen nach ihrer Bedeutung ermöglicht.“9

(fig. Wo/Wie/Was-Strom,Vortragsfolie Prof. Dr. Axel Buether, In: Visuelle Kommunikation im Raum „Die Bildung der räumlich-visuellen Kompetenz“, Vortrag am 1. Dezember Universität Regensburg, Institut für Kunsterziehung, url: https://axelbuether.de)

Ebenso betont der Artikel die Wichtigkeit des Einsetzens von Bewegungsdynamiken im Bild, um die Handlungsfaden, Dramaturgie und Erwartungshaltung des Betrachters zu beeinflussen:
„Der evolutionäre Vorteil von engstehenden beweglichen Augen“, sagt Buether, „liegt in der Fähigkeit zur Fixation von beweglichen Zielen. Aus den Vektordaten berechnet unser Gehirn bekannte Handlungsmuster und Bewegungsverläufe, was uns die Fähigkeit zur Voraussicht ermöglicht.“10

Der Verfasser gibt uns genaue Hinweise über die menschlichen Sehgewohnheiten. „Etwa 50° beträgt das Blickfeld, das der Mensch als natürlich empfindet, da seine Augen in diesem Bereich ihre maximale Beweglichkeit besitzen und daher lange Zeit schnelle Fixationsbewegungen ausführen können.“11. Folgenderweise orientieren wir uns intuitiv an diesem Blickfeld und „nehmen je nach Größe des Exponats eine entsprechende Entfernung ein.“12. „Ist das Bildformat grösser oder unser Abstand zu gering, verschwinden die Randbereiche im peripheren Gesichtsfeld. Dieses umfasst in horizontaler Ausdehnung etwa 180° und in vertikaler Richtung etwa 130°; wovon 60° oberhalb und 70° unterhalb des Bildhorizonts liegen“.13 Da manche 360°-Displays die physische Entfernung des Zuschauers nicht immer erlauben, ist es also wichtig diese Richtlinie im Kopf zu behalten.

Ebenso macht uns der Artikel auf den Unterschied zwischen Augen- und Kopfbewegung aufmerksam: „Während sich unsere Augen im Bruchteil von Sekunden in Gebrauchsblickfeld bewegen können, dauert die Hinwendung des Kopfes deutlich länger. Während wir im peripheren Gesichtsfeld von etwa 180° zumindest mitbekommen, wenn etwas passiert, nehmen wir die von unserem Standpunkt rückwärtige Hälfte einer Panoramaprojektion überhaupt nicht wahr. Wenn sich hier etwas Bedeutsames ereignet, muss das dem Betrachter über hinführende Bildbewegungen oder auditive Signale kommunizieren werden, damit eine Kopfwendung eingeleitet werden kann.“14 Man könnte sich dadurch vorstellen, das 360°-Bild in mehrere kleine räumliche Sinneseinheiten zu gliedern, welche durch Objektbewegungen zusammen in einer non-linearen Erzählungsform kommunizieren könnten.

Dieser ziemlich technische Beitrag gibt sofort den Ton an: das 360°-Format ist ein Rahmen, in welchem die Gestalter sich aufgrund der menschlichen Physiologie und Wahrnehmungsmöglichkeiten nur beschränkt bewegen können.

 


 

  1. Overschmidt, G. und Schröder, U.B., “Einleitung“, In: Overschmidt, G. und Schröder, U.B. (2013), Fullspace-Projektion. Mit dem 360° lab zum Holodeck, Springer Vieweg Verlag, Berlin, Heidelberg, S.3
  2. Buether, A. „Raumdenken und Gehirn.Grundlagen der visuellen Raumwahrnehmung und Kommunikation“, In: Overschmidt, G. und Schröder, U.B. (2013), Fullspace-Projektion. Mit dem 360° lab zum Holodeck, Springer Vieweg Verlag, Berlin, Heidelberg, Ss.23-39, S.23
  3. Ebenso, S.24
  4. Ebenso, S.24
  5. Ebenso, S.35
  6. Ebenso, S.26
  7. Ebenso, S.26
  8. Siehe: Gegenfurtner, K.R. (2003), Gehirn & Wahrnehmung, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main.
  9. Buether, A. „Raumdenken und Gehirn.Grundlagen der visuellen Raumwahrnehmung und Kommunikation“, S.27
  10. Ebenso, S.29
  11. Ebenso, S.29
  12. Ebenso.
  13. Ebenso, S.30
  14. Ebenso, S.31

 

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