(fig. Landschaft/Raum und Produkte: Raffaello-Beach, url: deal-held.de)
Bericht
Jianu, D., „Full Immersive Branding“, In: Overschmidt, G. und Schröder, U.B. (2013), Fullspace-Projektion. Mit dem 360° lab zum Holodeck, Springer Vieweg Verlag, Berlin, Heidelberg, Ss.249-266
Overschmidt, G., „Wrap Marketing: Der Raum als Erfahrungswelt“, In: Overschmidt, G. und Schröder, U.B. (2013), Fullspace-Projektion. Mit dem 360° lab zum Holodeck, Springer Vieweg Verlag, Berlin, Heidelberg, Ss.267-283
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Der Artikelkorpus Fullspace-Projektion, welche in diesem Blog schon erwähnt wurde, beinhaltet zwei Beiträge, die sich mit immersivem Branding und Marketing beschäftigt haben und ein sehr interessantes Licht auf die Wahrnehmung des 360° -Formats werfen. Mit großer Begeisterung beschreiben Diana Jianu und Gordian Overschmidt – Branding und Marketing Experten – das Potenzial 360°-Erzählungsformen für die Förderung von Produkten und Brands. Jianu sieht die immersiven virtuellen Welten, welche das 360°-Format erlaubt, als ein perfektes Mittel, um die Erzählung von Brands zu entfalten. „This has vast potential for the participant’s emotional connection and „brand love““1 weil die Geschichte im Mittelpunkt ist, während die Technologie unsichtbar ist.2 Für Overschmidt, muss die Wrap Marketing durch immersive Erfahrungen den Kunden in die Brand einwickeln.3 Mit dem Postulat dass „aktuell jeder Empfänger mehr Informationen pro Tag aufnimmt als unsere Vorfahren im Mittelalter während ihres gesamten Lebens“4, schlägt er vor, die immersive Erfahrungen als Umsetzung des Marketing 3.0 wahrzunehmen, insofern dass „der Kunde dabei nicht mit Informationen bombardiert wird, sondern er entdeckt die Welt für sich“5.“Der Kunde braucht eine Auszeit“ erklärt er. Immersives Marketing „ermutigen ihn, sich proaktiv als Kommunikator zu beteiligen.“ 6 Unter dieser Prämisse, fügt Jianu an, wird „der Inhalt zum Marketing und das Marketing zum Inhalt“7.
Hyperpersonalisierung
Jianu sieht in der Interaktivität, welche das Format fördert, einen Weg das Produkterlebnis stark zu personalisieren: die Kunden werden zu Teilnehmern einer Erfahrung. Der narrative Fokus ist auf den geteilten Inhalt und nicht auf das Produkt gesetzt, auch wenn der Teilnehmer letztendlich emotional mit dem Produkt/Brand verbunden wird. Außerdem werden durch die ständige Interaktion des Teilnehmers, seine Beziehung zum Produkt maßgeschneidert 8, was dem Kunden erlaubt, eine persönlichere Beziehung zu der Marke zu haben. Overschmidt kommt auf den Begriff Erfahrungsraum zurück und betont die individuelle Wirkung von Räumen auf Menschen aufgrund ihrer sozialen und kulturellen Erfahrungshintergründe.9 Er zitiert Karl Mannheims Wissenssoziologie und erklärt: „Abhängig davon, ob der Mensch weiblich oder männlich ist, aus dem abend- oder morgenländischen Kulturkreis kommt, Analphabet ist oder eine umfassende schulische Ausbildung genossen hat, Kind oder Erwachsener ist, wird der Mensch einen Raum verschieden wahrnehmen und anhand der Zeichen, die den Raum prägen, unterschiedlich interpretieren“10. „So“ schreibt er „So erlebt der Mensch aufgrund seiner verschiedenen Sinnesmodalitäten und seiner vorhandenen Erfahrungswelten räumlich Eigenschaften und konstruiert sich den Raum als individuelle Wirklichkeit.“11
Raum als Rahmen
Overschmidt zitiert den Architekturtheoretiker Jürgen Joedicke und schreibt: „Der Raum ist wahrnehmbar an seiner Begrenzung: wäre keine Begrenzung vorhanden, könnte auch kein Raum wahrgenommen werden.“12 Er erklärt, dass der Raum die Rolle eines Rahmens hat und dass Elemente in einem Raum anders wahrgenommen werden, als wenn sie sich im Freien befinden.13 „Der Rahmen grenzt das Umschlossene von den übrigen Erscheinungen der Wirklichkeit ab isoliert es, löst es aus den optischen Konstellationen heraus, die wir im Alltag als Fülle wechselnder Erscheinungen erleben. […]Der Rahmen erklärt das in ihm Gezeigte als etwas Zusammengehörendes. Was in der Realität als zufällig und ungeordnet erscheint, erhält durch den Rahmen eine innere Ordnung. Die Bildelemente erhalten ihren Stellenwert durch die Bildbegrenzung und ihrem Verhältnis dazu.“14
Die Botschaft des Raumes
Overschmidt beruft sich auf die Arbeit Markus Zinks bezüglich die non-verbale Sprache des Raumes, in welcher er drei Bedeutungsaspekte der räumlichen Botschaft definiert: Expression, Appell und Sachinhalt.15
(fig.“Die Sprache des Raumes analysieren“, Zink M (2009), Raumerfahrung, Zentrum Verkündigung der EKHN, Frankfurt, S.3)
Die Atmosphäre scheint für Overschmidt ebenso ein wichtiger Teil der räumlichen Botschaft zu sein, insofern, dass sie die Einstellung des Teilnehmers beeinflusst. Er schreibt: „Sinnliche Empfindungen wie kalt – warm, hell – dunkel, hart – weich etc. werden nicht als isolierte Reiz wahrgenommen, sondern eingebunden in einen Erlebnis-Zusammenhang von Dingwelt und Selbst.“16 Der Raum, erklärt er, „beeinflusst den Menschen so, dass dieser das Bedürfnis entwickelt, diesen zu vereinnahmen, mit seiner eigenen Persönlichkeit zu füllen. Der Mensch will jedoch dazu vom Raum begeistert und verführt werden, er will den Raum mitprägen und sich in ihm engagieren.“17
Strategien der Immersion (Wrap Marketing)
Um dieses Engagement zum Raum zu fördern, etabliert Overschmidt drei Strategien:
Die Immersion durch Raum, in welchem „der Mensch einen eigenen Raum bekommt, der ihn aus der Informationsflut abkapselt. Er kann sich beruhigen und auf die angebotenen Informationen konzentrieren.“18 Die Immersion durch Wirksamkeit, in welche „die passive Einladung in den Raum aufgenommen wird und den Menschen im Inneren auf fördert, sich zu beteiligen, Informationen aktiv zu sammeln und interaktiv zu be-/verarbeiten.“19 Und die Immersion durch Authentizität, in welcher „der Charakter der Inszenierung dem Besucher beim Eintritt einen neuen oder aber auch bekannten Erfahrungsraum vermittelt, der sich mit Erlebbarem und Spürbarem füllt.“ Dabei ist es kein vordefinierter Ablauf, schreibt er, „sondern die Erfahrung der eigenen Wirksamkeit.“20
Die Argumente dieser zwei Experten scheinen besonders interessant zu sein, insofern dass die Vorteile, welche sie im 360°-Format sehen, stark mit dem Storytelling der Produkte und Marken zu tun haben. Das Medium ermöglicht es die Kontextualisierung des Produkts und ihre direkte Assoziierung mit symbolischen Orten und Elemente. Folgenderweise, könnte man sich fragen, inwiefern die Vorgehensweisen des Storytellings für Marketing und Filmproduktionen unterschiedlich sind. Könnte man sich vorstellen, die Geschichte von Produkten und die von Menschen mit ähnlichen Verfahren darzustellen?
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Diana Jianu
Born in 1983, has an Msc. BA in Strategy and Innovation (VU University, Amsterdam) and is currently brand consultant at kleiner und bold, Berlin. Having worked with a variety of brands daily for almost 5 years, she insists in promoting creative ways of dealing with brand strategy and communication in an intelligent manner, to create the brands of the 21st century – bold, honest and visionary brands, brands that stand for something. It is interesting to explore how the new 360°-technology has the potential to open a world of possibilities for many actors (from brand owners, to merchants and brand agencies) and to reshape the entire value chain (from marketing and brand building, to product development and manufacturing). 360° is about full sense interaction. Marketers and brand owners can finally put their finger on a tool that can deliver instant emotional attachment between individual and brand, the so-called “brand loyalty”. But this technology is so powerful that it can lead to total success, as much as it can lead to total failure.
Gordian Overschmidt
Jahrgang 1966, internationales Studium der BWL/Marketing an der University of Bradford, UK/Nimbas Utrecht, NL. Aktuell ist er neben seiner freiberuflichen Tätigkeit als Berater und Dozent als geschäftsführender Gesellschafter verantwortlich für Marketing und Distribution der ZENDROME GmbH. Das Unternehmen setzt seit 2005 Trends und neue Tendenzen in Form und technischer Innovation in der mobilen Architektur. Als Gastdozent für den Bereich Marketing und Projektmanagement hat er an verschiedenen nationalen und internationalen Bildungseinrichtungen und Akademien gelehrt. Zentrale innovative Themen sind Wrap-Marketing und 360°-Fullspace – Produktion und Distribution sowie Entrepreneurship. Auf Basis dieser Erfahrung und den damit verbundenen Potenzialen hat Gordian Overschmidt 2010 das Netzwerk „360°lab“ – gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung – initiiert und ins Leben gerufen.
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1.Jianu, D., „Full Immersive Branding“, In: Overschmidt, G. und Schröder, U.B. (2013), Fullspace-Projektion. Mit dem 360° lab zum Holodeck, Springer Vieweg Verlag, Berlin, Heidelberg, Ss.249-266, S. 257
2.Ebenso
3. Overschmidt, G., „Wrap Marketing: Der Raum als Erfahrungswelt“, In: Overschmidt, G. und Schröder, U.B. (2013), Fullspace-Projektion. Mit dem 360° lab zum Holodeck, Springer Vieweg Verlag, Berlin, Heidelberg,Ss.267-283, S.274
4.Ebenso, S.275
5.Ebenso, S.276
6.Ebenso.
7. Jianu, D., „Full Immersive Branding“, S.257
8.Ebenso.
9. Overschmidt, G., „Wrap Marketing: Der Raum als Erfahrungswelt“,S.271
10. Mannheim K (1964) Wissenssoziologie, 2.Aufl. Luchterhand, Neuwied a.R. und Berlin, zitiert in: Overschmidt, G., „Wrap Marketing: Der Raum als Erfahrungswelt“,S.271
11. Overschmidt, G., „Wrap Marketing: Der Raum als Erfahrungswelt“,S.271
12. Joedicke J (1985) Raum und Form in der Architektur, Krämer, Stuttgart, zitiert in: Overschmidt, G., „Wrap Marketing: Der Raum als Erfahrungswelt“,S.271
13. Overschmidt, G., „Wrap Marketing: Der Raum als Erfahrungswelt“,S.272
14.Ebenso.
15. Zink M (2009), Raumerfahrung, Zentrum Verkündigung der EKHN, Frankfurt, zitiert in: Overschmidt, G., „Wrap Marketing: Der Raum als Erfahrungswelt“,S.272
16. Overschmidt, G., „Wrap Marketing: Der Raum als Erfahrungswelt“,S.273
17. Ebenso, S.276
18.Ebenso, S.277
19.Ebenso.
20.Ebenso, S.278