Nachdem in meinem letzten Beitrag das klassische lineare Storytelling näher beleuchtet wurde, geht es in diesem Blogpost darum, die interaktive Form der Narration näher zu beleuchten. Was ändert sich für den Autor einer Geschichte? Welchen Mehrwert bringt Interaktivität? Wie sieht die Struktur einer interaktiven Geschichte aus? Inwieweit hat diese Erzählform Potential und schöpft neue Möglichkeiten?
Interaktives Storytelling involviert den Rezipienten der Geschichte. Dieser erhält die Möglichkeit, in der Geschichte mitzumischen und anhand seines Inputs den Verlauf der Geschichte zu beeinflussen. Interaktivität muss jedoch nicht immer digital sein.Auch im Theater ist es Beispielsweise möglich, das Publikum miteinzubeziehen und somit zum Teil der Geschichte zu machen. Anstatt einem linearen Geschichtsverlauf zu folgen, verhält sich Interaktivität trotz vorgegebener Paradigmen und Regelwelt nonlinear. Der Einzelne hat die Möglichkeit, selbst Kontrolle zu übernehmen und zu entscheiden, wie und in welche Richtung es weitergeht. Ben Hoguet schreibt in seinem Blog, dass die Versuchung nach Interatikivität in unserer kulturellen DNA verankert sei. Er bezieht sich mit dieser Behauptung auf den Willen des Menschen, selbstständig zu entscheiden und Situationen kontrollieren zu können.
Im digitalen Kontext versteht man unter Interaktivität die Möglichkeit, anhand technisch programmierter Interfaces die Interaktion einer Geschichte zu steuern. Scrollytelling und Interaktivität sind im Web derzeit hoch in Kurs, mittels dieser Erweiterungen soll dem Besucher der Inhalt der Website noch näher gebracht werden, er soll sich mittels der Interaktion besser in die Thematik einfinden. Ein Feld, in dem interaktives Storytelling von Anfang an ein Thema war, ist der Bereich der Videospiele. Besonders Indie-Studios sind es, die dafür bekannt sind, Games zu entwickeln, deren Ende ganz von den getroffenen Entscheidungen des Spielers abhängen. Beispiele hierfür sind das 2016 von Campo Santo entwickelte Spiel Firewatch, oder die diversen Spiele vom Studio Telltale Games, zu denen beispielsweise auch die Walking Dead Reihe zählt. Es sind jedoch nicht nur Indiegames, welche mit komplexen Narrativen überzeugen können. Auch große Titel setzten alles auf eine individuelle, entscheidungsbasierte Spielerfahrung. Als Beispiel hierfür möchte ich mich nun auf Witcher 3: The Wild Hunt beziehen.
Witcher 3: Wild Hunt ist ein Open-World RPG in einem Mittelalter-Fantasy-Setting basierend auf einer gleichnamigen Romanvorlage. Die Charaktere und die Welt sind klar definiert, das Open World Terrain ist bei weitem größer als bei den zwei Vorgängern. Durch die offene Spielwelt steht es dem Spieler offen, welche Quests er als nächstes und in welcher Reihenfolge weiterverfolgt. Das Interessante an Witcher ist jedoch, dass die Entscheidungen des Spielers sich im Wesentlichen auf die Spielwelt auswirkt, in jederlei Hinsicht. Das Auswählen einer bestimmten Aktion bestimmt, welche Quests als nächstes freigeschalten werden, wie sich Charaktere im Spiel verändern und welche Möglichkeiten sich dadurch auftun oder verbaut werden. Hierfür wurden verschiedene Modelle für das Questdesign gewählt. Untenstehend sind einige davon beschrieben.
Die Komplexität und Individualität der Quests innerhalb des Spiels basierend auf der Spielerinteraktion ermöglichen so jedem Spieler ein individuelles Erlebnis der Spielewelt. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern verfügt Witcher 3 über 36 mögliche Endausgänge des Spiels. So ist auch fast garantiert, dass derselbe Spieler bei einem weiteren Spieldurchlauf neue Dinge entdecken und auf ein anderes Ende hinauslaufen wird. Mile Tost und Nikolas Kolm vom zuständigen Studio CDProjectRed sprechen in untenstehendem Video bei der Beschreibung der Glaubwürdigkeit einer Spielwelt oft von „Immersion“. Ein Spieler muss Teil der Geschichte werden und dabei vergessen, dass er ein Videospiel spielt.
A great RPG is like a perfectly composed dish.
Miles Tost, Level Designer CD Project Red
In oben stehenden Zitat vergleicht Tost ein Videospiel mit einer edlen Speisen. Die Geschichte, so sagt er, ist hierbei das Hauptgericht, während die Spielewelt und die Interaktion mit dieser die Beilagen sind. Die Kombination aus beidem ergibt jedoch das große Ganze. Wie einem ein guter Film in seinem Bann zieht, kann Immersion in Videospielen dadurch geschehen in dem man die Spielwelt realistisch und lebendig gestaltet. In Witcher 3 beispielswiese hat jeder Non-Player-Character (kurz NPC) eine eigene Geschichte zu erzählen un einen eigenen Tagesablauf nach welchem er agiert. Unabhängig davon, wo ich mich als Spieler befinde, die NPCs tun ihre Tätigkeiten und reagieren auf Veränderungen in der Welt, beispielsweise durch eine Entscheidung in einer Quest. Solch eine lebendige Welt trägt einen wesentlichen Faktor zur Immersion mit dieser bei, genauso wie die Glaubwürdigkeit der Welt: Arme Gegenden werden verwahrlost dargestellt, während reiche Gegenden vor Schätzen strotzen. Hinzu kommt, dass die Entscheidungen in diesem Spiel oft sehr schwierig sind. Man weiß nie, wie gut sich eine „positive“ Entscheidung im Endeffekt auf die Spielewelt auswirkt und steht auch oft vor einer Misere, zwischen zwei schlechten Optionen das kleiner Übel zu wählen oder gar zu beurteilen, welchen NPC mehr Glauben geschenkt wird. Meiner Meinung nach verleiht auch dieses Element dem Spiel mehr Realität und zieht einem anhand seiner Interaktionsmöglichkeiten noch mehr in seinen Bann.
Quellen:
https://medium.com/@benhoguet/what-is-interactive-storytelling-46bfdd2a8780
http://theconversation.com/the-future-is-in-interactive-storytelling-767724
Youtube: The Witcher 3: Crafing a compelling narrative in a believable open world
https://www.davidmillard.org/2016/12/the-narrative-structure-of-the-witcher-3/