What’s your Type?

Nachdem in meinem letzten Blogbeitrag das Material des Buches im Vordergrund stand, so liegt der Fokus diesmal auf den kleinsten Komponenten einer Buchseite: um die Schrift – mit ihren Buchstaben, Satzzeichen und Zahlen.

Schriften werden in sogenannte Schriftfamilien eingeteilt; einer typografischen Bezeichnung für eine Gruppe zusammengehörender Schriftstile in unterschiedlichen Schriftbreiten, -stärken oder -lagen, aber gemeinsame Formmerkmale aufweisen. Eine Schriftfamilie umfasst also immer den kompletten Zeichensatz – also die Gruppe aller Zeichen – einer bestimmten Schrift; während der Begriff „Font“ eine Teilgruppe einer solchen Familie bezeichnet und normalerweise aus dem 256 Zeichen umfassenden ISO-Zeichensatz 1 – mit dem beispielsweise auch eine klassische Tastatur belegt ist – besteht. Für Publikationen mehrsprachiger Bücher werden natürlich weitaus umfassendere Zeichensätze benötigt.

Fig. 1. West- und osteuropäischer Zeichensatz der „Polo“ inklusive unterschiedlicher Ziffernarten.

Die meisten Schriften besitzen innerhalb einer Familie mehrere unterschiedliche Schriftschnitte*; in der Regel einen Grundstil (Regular), einen leisen Auszeichnungsstil (etwa Italic) sowie einen lauten Auszeichnungsstil (Bold). Schriftfamilien können aber auch aus mehreren Dutzend Schriftstilvarianten bestehen, die sich vom „normalen“ Schriftschnitt (Grundstil) ableiten; eine umfangreiche Schriftfamilie ist beispielsweise die Univers, die der Schweizer Designer Adrian Frutiger mit dem Anspruch einer universell einsetzbaren Schrift entwickelte. Nicht selten ändert sich durch unterschiedliche Strichstärken oder -lagen jedoch das Aussehen bzw. die Form einer bestimmten Schriftart enorm. Dennoch zählen alle Schnitte zu ein- und derselben Schriftfamilie.

Fig. 2. Verschiedene Schriftschnitte der Schriftfamilie „Helvetica Neue“.

Wichtig für die Planung eines Buches bzw. Printmediums ist der sogenannte Schriftgrad, der die Größe einer Druckschrift angibt; mit ihm kann die Lesbarkeit eines Schriftsatzes maßgeblich beeinflusst werden. Historisch lassen sich die heute gebräuchlichen Schriftgrade bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen; ab dem 18. Jahrhundert wird erstmals eine Normung der Schriftgradabstufungen angestrebt, die teilweise noch heute ihre Gültigkeit behält und auch grundlegend für die digitale Typografie ist.
Einteilen kann man Schriftgrade von Druckschriften in sogenannten optischen Größen: Konsulationsgrößen (Caption), Schaugrößen (Subhead) und Lesegrößen (Regular); bei Plakaten und größeren Printmedien gibt es zusätzlich Ferngrößen (Display).

Dennoch, Schriftgrade sind heutzutage relativ; in der digitalen Typografie existieren keine verbindlichen Bemessungsgrundlagen mehr – Schriften sind in ihrem typometrischen (lettern-architektonischen) Aufbau äußerst divers. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, Schriftgrade im gemischten Schriftsatz (Groß- und Kleinschreibung) anhand der „hp-Vertikalhöhe“ zu messen, inklusive optischer Überhänge oder Ausschweifungen (z.B. bei Zierschriften).

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Fig. 3. Problematik bei der Bemessung eines Schriftgrades.
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Fig. 4. hp-Vertikalhöhe.

Auch wenn Schriften insbesondere für ungeübte Augen auf den ersten Blick ähnlich wirken: Schrift ist nicht gleich Schrift! Die Schriftvielfalt ist im digitalen Zeitalter enorm gewachsen; es gibt keine ideale und allgemeingültige Schriftgröße – egal ob auf Papier oder Bildschirm. Pauschale Empfehlungen erscheinen auf den ersten Blick nützlich, sind aber letzten Endes nur eines: pauschal – und damit nicht besonders hilfreich. Jede Schrift, -stilvariante oder jeder Schnitt müssen heutzutage individuell beurteilt und abgestimmt werden – das Augenmaß erscheint angesichts der Unmenge an verschiedensten Schriften und der großen Divergenz in der schriftlichen Kommunikation wichtiger denn je.

 

*Anmerkung: Während der Begriff des „Schriftschnittes“ sich streng genommen nur auf physische Drucktypen (z.B. Bleisatzschriften) bezieht, wird der Terminus „Schriftstil“ sowohl in Bezug auf physische Schrifttypen als auch auf digitale Fonts verwendet. Allerdings ist im typografischen Sprachgebrauch der Terminus „Schriftschnitt“ konkreter, der Begriff „Schriftstil“ mehrdeutig.

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Bildquellen:

Titelbild: Typometrische Studien aus der Zeit der Renaissance von Ferdinando Ruano (D), Vespasiano Amphiareo (Z), Wolfgang Fugger (H), Geoffroy Tory (I), Albrecht Dürer (X), Francesco Torniello da Novara (F), Luca Pacioli (Y), Damiano da Moile (B) und Felice Feliciano (P). Abbildungen: Unterschiedliche Quellen aus der klassischen typografischen und paläographischen Fachliteratur. Verfügbar unter https://www.typolexikon.de/wp-content/uploads/2016/07/typometrie-renaissance-buchstaben.png
Fig. 1.:  https://www.typemanufactur.com/de/schriften/polo/zeichensatz
Fig. 2.:  https://de.wikipedia.org/wiki/Schriftschnitt#/media/File:Helvetica_Neue_typeface_weights.svg
Fig. 3.:  https://www.typolexikon.de/wp-content/uploads/2016/12/schriftgrad.png
Fig. 4.:  https://www.typolexikon.de/wp-content/uploads/2016/12/schriftgrade-hp_vertikalhoehe-h_hoehe-x_hoehe.png

Literatur:

1   Andrew Haslam: Book design. Übersetzung aus dem Englischen: Handbuch des Buches. Konzeption, Design, Herstellung. München: Stiebner Verlag. 1. Auflage. 2007. S. 86-91.

 Beinert, Wolfgang (2018). Eintrag „Schriftgrad“, Typolexikon.de, Lexikon der Typografie. Verfügbar unter https://www.typolexikon.de/schriftgrad/

Ders. (2018). Eintrag „Schriftfamilie“, Typolexikon.de, Lexikon der Typografie. Verfügbar unter https://www.typolexikon.de/schriftfamilie/

Ders. (2017). Eintrag „Schriftschnitt“, Typolexikon.de, Lexikon der Typografie. Verfügbar unter https://www.typolexikon.de/schriftschnitt/

Ders. (2017). Eintrag „Schriftstil“, Typolexikon.de, Lexikon der Typografie. Verfügbar unter https://www.typolexikon.de/schriftstil/

 

 

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